Dienstag, 16. April 2013

Alternative für Deutschland: Applaus für die Oberfläche

Alternative für Deutschland: Applaus für die Oberfläche:
Von Jörg Wellbrock
Die „Alternative für Deutschland (AfD)“ scheint den Nerv der Menschen zu treffen. Entsprechend beliebt ist die neue Partei der Euro-Gegner. Doch was steckt eigentlich dahinter? Und wer unterstützt die „AfD“? Viel Prominenz, wie der Presse zu entnehmen ist. Also eine nette, sympathische Partei mit Leuten wie du und ich?
Die Grundsatzrede von Bernd Lucke auf dem Gründungsparteitag der „AfD“ am 14. April 2013 war eine knappe Stunde lang. Abziehen muss man den Applaus, der nach fast jedem Satz Luckes eine kurze Redepause notwendig machte. Vorgestellt wurde nicht weniger als das Programm der Partei. Mehr allerdings auch nicht.

Weder rechts noch links?

Rhetorisch hatte Bernd Lucke den einen oder anderen vermeintlichen Leckerbissen zu bieten. Inhaltlich war das schon übersichtlicher. Zu den Kernaussagen gehörte die wiederholt zur Schau getragene Forderung, man müsse sich vom Euro verabschieden. Zwar ist, wenn man Lucke glauben kann, die „AfD“ keine Partei mit nur einem Programmpunkt, nämlich dem der Abschaffung des Euro. Die Tatsache, dass aber auch die Probleme der Energiepolitik, des Steuersystems und der demografischen Entwicklung irgendwie immer wieder zur Eurodiskussion führten, war dennoch bemerkenswert.
Alles in allem konnte sich in der Rede fast jeder irgendwie wiederfinden. Es hagelte Kritik an der Bundesregierung, an den Banken und Hedgefonds, am zu komplizierten Steuersystem, am kränkelnden gesetzlichen Rentensystem und an fehlender Bürgerbeteiligung bei wichtigen politischen Entscheidungen. Lucke sagte: „Sie (die „AfD“) ist weder links noch rechts. Warum sollten wir auch?“ Und in der Tat, er traf mit seinen plakativen Aussagen sicherlich SPD-Wähler ebenso wie Liberale, enttäuschte Christdemokraten und Wähler der Grünen, die sich über die weichgespülte ehemalige Kämpferpartei beklagen. Er traf aber auch die ganz und gar rechte Ecke. Die NPD hatte sich über ihren Pressesprecher schon vor dem Parteitag wohlwollend zur „AfD“ geäußert. Sie transportiere genau das, was auch die NPD fordere und sei ein ausgezeichneter „Eisbrecher und Türöffner“. Die Rechtspostille „Junge Freiheit“ war so begeistert vom Gründungsparteitag, dass sie kurzerhand per Livestream die Veranstaltung übertrug. Die „AfD“ übernahm den Link dazu unkommentiert auf der Facebook-Seite. Doch auch in der Partei tummeln sich nicht nur lauter Idealisten, die der Meinung sind, alles werde gut, wenn Deutschland den Euro abschafft.

Multikulti-Umerziehung: Nur ein dummer, kleiner Irrtum?

Parteigründer Bernd Lucke findet, dass der Euro Deutschland überfordert. Er selbst war allerdings kurz vor dem Gründungsparteitag selbst überfordert, denn innerhalb der „AfD“ gibt es eine Eigendynamik, die er scheinbar nicht in den Griff bekommt oder nicht bekommen will. Auf der Facebook-Seite der Partei wurden die Tage bis zum Gründungsparteitag rückwärts gezählt. Eigentlich keine große Sache, aber der Countdown wurde mit „Sinnsprüchen“ begleitet. Fünf Tage vor dem Parteitag war auf der Seite noch „Klartext statt B€ruhigungspillen“ zu lesen, was ganz dem vorrangigen Motto der „AfD“ entspricht. Vier Tage vor dem Ablauf des Countdowns hieß es allerdings plötzlich „Klassische Bildung statt Multikulti-Umerziehung“.
Spätestens seitdem findet eine öffentliche Debatte darüber statt, ob die „AfD“ rechtsradikales Gedankengut in sich trägt. Die sieht sich „in die rechte Ecke“ gedrängt und leugnet mehr oder weniger vehement. Die rechtsradikale Rhetorik erhielt innerhalb kürzester Zeit 800 „Likes“, und nachdem der Spruch gegen „Bildung statt Ideologie“ ausgetauscht worden war, gab es neben Lob von zuvor empörten Fans zahlreiche Stimmen, die sich wütend und enttäuscht über das „Einknicken“ äußerten. Bernd Lucke sagte, das Facebook-Posting entspreche nicht der Linie der Partei. Zu lesen war es jedoch auf dem offiziellen Facebook-Profil der „AfD“.

Abseits des Parteiprogramms

Während Bernd Lucke in seiner Grundsatzrede noch tiefes Verständnis für die Menschen in Griechenland, Spanien oder Zypern nach außen trug und Politik und Investoren für die Krise verantwortlich machte, haben zahlreiche Parteimitglieder andere Sorgen. Hans-Thomas Tillschneider zum Beispiel schreibt online von einer „Islamisierung“ Deutschlands und merkt dazu an: „Der Islam ist eine uns fremde Religion, die eben deshalb nicht die gleichen Rechte wie das Christentum einfordern kann, das tief mit unserer Kultur verwachsen ist. Islamische Wertungen sind mit Toleranz, Aufklärung, Demokratie und mit der bei uns üblichen Liberalität im Verhältnis der Geschlechter nur schwer vereinbar.“
Rainer Brünen treibt dagegen eine andere Frage an. Für ihn ist es unverständlich, warum Deutschland noch immer nicht souverän ist und man „immer noch nicht die eigene Geschichte hinterfragen“ darf. Ulrich Koennings dagegen sieht hierzulande eine gefährliche Entwicklung, die vornehmlich den Leistungsträgern schadet. Er schreibt: „Auf nationaler Ebene ist unsere Gesellschaft im Laufe der letzten Jahre zu einer Transfergesellschaft entwickelt worden, in der nicht mehr Wohlstand durch Leistung primär politisch gefördert wird, sondern eine Umverteilung von erarbeiteten Kapital zu Empfängern von Sozialleistungen und den davon profitierenden Einrichtungen vorrangig gefördert wird.“
Weit weniger subtil argumentiert Reimund Guldner, der so seine Probleme mit Homosexuellen hat. Er formuliert das so: „Wer im Gleichstellungswahn die Homoehe fordert, muss auch die Gleichstellung der Lesbenehe zulassen. Dann dürfen auch Geschwister heiraten. Was, wenn dann einer seine Plastikpuppe heiraten oder Sex mit Tieren haben will? Kein Problem, jeder darf dann auch sein Lieblingsschaf ehelichen und als erb- und rentenberechtigt eintragen lassen.“ Konrad Adam, das heutige Vorstandsmitglied der „AfD“ forderte gemeinsam mit André Lichtschlag schon im Jahr 2006, Arbeitslosen das Wahlrecht zu entziehen. Die Liste der „innovativen“ Parteimitglieder ließe sich fortsetzen.

Der nette Herr Lucke

Er wirkt wie der freundliche Professor, der Gutes im Schilde führt. Und was er sagt, können viele Menschen gefühlsmäßig sofort unterschreiben. Deshalb ist die „AfD“ im Augenblick so beliebt. Doch hinter der Freundlichkeit steht ein Mann, der maßgeblich am „Hamburger Appell“ beteiligt war, der im Frühsommer des Jahres 2005 veröffentlicht wurde. Das auf dem Gründungsparteitag öffentlich ausgesprochene Verständnis Luckes für die Menschen in den krisengeschüttelten Ländern relativiert sich, wenn man sich den „Hamburger Appell“ näher ansieht. Dort ist unter anderem zu lesen: „Gegen die Kräfte der Globalisierung kann der Sozialstaat nur verteidigt werden, wenn er nicht mehr als Konkurrent der privaten Wirtschaft auf dem Arbeitsmarkt, sondern als Partner agiert. Das System der aktivierenden Sozialhilfe zeigt einen praktikablen Weg.“ Die Autoren sehen Lohnerhöhungen als gefährlich an, da sie die Investitionsbereitschaft der Unternehmen gefährden würden. Lucke und seine Kollegen schreiben, dass die „Arbeitskosten ein Schlüssel zur Überwindung der deutschen Wachstumsschwäche“ sind.“ Und etwas weiter unten: „Die unangenehme Wahrheit besteht deshalb darin, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird. Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich.“ Verantwortlich für diese Maßnahmen sei das Versagen der Tarifparteien, die seit Jahrzehnten zulasten der Geringverdiener arbeiten würden. Werbung als einer, der sich für „den kleinen Mann“ stark macht, sieht anders aus.

Ein kleines bisschen Wahlprogramm

Das Wahlprogramm der „AfD“ ist drei Seiten und vier Zeilen „dick“. Zu lesen gibt es also nicht viel, und das, was dort aufgeschrieben wurde, ist unterschiedlich interpretierbar. Der erste Satz lautet: „Wir fordern eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro.“ Wie diese „geordnete Auflösung“ aussehen soll, erfährt man nicht.
Es folgen Forderungen nach der Änderung der Europäischen Verträge, Deutschlands Blockierung für weitere Hilfskredite, die Entschuldung von überschuldeten Staaten und dass die Banken ihre Verluste selbst tragen müssen. Weiter konkretisiert wird all das nicht, genaue Fahrpläne sucht man vergebens.
Europa stellt sich die „AfD“ künftig als eine Ansammlung souveräner Staaten vor, mit denen Deutschland „in Freundschaft und guter Nachbarschaft zusammenleben“ soll. Die Brüsseler Demokratie wird als gescheitert bezeichnet, sie müsse verschlankt werden.
Auch zur deutschen Rechtsstaatlichkeit hat die „AfD“ eine Meinung, die auf Seite 2 zu finden ist. So solle der Rechtsstaat „uneingeschränkt zu achten“ sein, die Parteien sollten „am politischen System mitwirken, es aber nicht beherrschen“. Als letzter Punkt werden „unkonventionelle Meinungen im öffentlichen Diskurs“ verlangt, solange die „ergebnisoffen diskutiert werden“ und nicht gegen das Grundgesetz verstießen. Wirklich neu ist daran nichts.
Zu den Staatsfinanzen Deutschlands gibt es nicht viel zu sagen. Wir sind überschuldet und brauchen eine „drastische Vereinfachung des Steuersystems.“ Empfohlen wird das „progressiv wirkende Kirchhof’sche Steuermodell“, das im Jahr 2005 sogar der CDU zu ungerecht war. Die Haftungsrisiken der Euro-Rettungspolitik müssten auch endlich berücksichtigt werden.
Familie und Bildung sind für die „AfD“ eng miteinander verbunden. Zum einen haben wir zu wenig Kinder, zum anderen gehöre die Bildung in erster Linie in die Hände der Eltern. Kitas und Schulen seien nur dafür da, „dies sinnvoll zu ergänzen“. Auch hier entsteht jede Menge Interpretationsspielraum.
Die Energiepolitik brauche „ein nachhaltiges Energiekonzept“, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) müsse reformiert werden, statt über Subventionen müsse erneuerbare Energie künftig über das allgemeine Steueraufkommen finanziert werden.
Die Integrationspolitik in Deutschland solle so gestaltet werden, dass qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung möglich sei, eine „untergeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden.“ Ernsthaft politisch Verfolgte müssten wir aufnehmen und arbeiten lassen. Die nicht neue Frage, wann jemand ernsthaft verfolgt ist, wird nicht beantwortet.

Des Volkes Stimmung

Liest man das Wahlprogramm der „AfD“, lässt das eine Menge Rückschlüsse zu. Oder eben keine. Die Abschaffung des Euros ist dabei noch der konkreteste Gedanke, wobei nicht deutlich wird, wie genau sie aussehen soll. Die anderen Programmpunkte bleiben vage. Die nicht mehr als Stichpunkte aufgeschriebenen Bestandteile überhaupt als „Wahlprogramm“ zu bezeichnen, ist im Grunde schon mehr als gewagt. Es ist eher ein grober Forderungskatalog, der an ein Brainstorming erinnert, das später einmal zu einem ernst zu nehmenden Dokument werden könnte.
Die Berichterstattung der letzten Tage macht deutlich: Nach außen hin verkauft sich die „AfD“ offenbar so gut, dass als Reaktion darauf in den meisten Medien eher Ehrfurcht als kritisches Hinterfragen folgt. Die Tatsache, dass die Europa-Politik der Bundesregierung unglaubwürdig ist, macht den Weg frei für eine Partei, die genau auf diese Wunde drückt. Lösungen für die sozialen Probleme aber hat sie nicht. Denn die Abschaffung des Euro alleine behebt weder die wirtschaftlichen noch die sozialen Probleme. Und auf Grund der Überzeugungen von Bernd Lucke dürfte das soziale Klima in Deutschland kaum besser werden, wenn die „AfD“ tatsächlich Verantwortung übernehmen würde. Parteimitglied Ralf Maas jedenfalls ist sicher, dass „diese Partei mit der Stimme des Volkes spricht.“ Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob Volk und „AfD“ wirklich dieselbe Sprache sprechen. Oder ob das nur ein Missverständnis ist.
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© Joerg Wellbrock für den Spiegelfechter, 2013.

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