Donnerstag, 25. Oktober 2012

Kontrolle versus Gleichheitssatz

Kontrolle versus Gleichheitssatz:
Vor kurzem erlaubte das Verwaltungsgericht Koblenz der Bundespolizei Personenkontrollen aufgrund der Hautfarbe. Gegen das Urteil findet derzeit die Berufung statt. Im Interview spricht Rechtsanwalt Sven Adam über die juristische Perspektive im Umgang mit Racial Profiling und das aktuelle Verfahren am Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz.


Was ist aus juristischer Sicht betrachtet Racial Profiling?
“Racial Profiling” oder “Ethnic Profiling” sind Begriffe, die als solche im juristischen Sprachgebrauch bzw. in Gesetzestexten nicht vorkommen. Es wird durch die Begriffe eher eine Situation beschrieben, nämlich das Eindringen rassistischer Vorurteile in Entscheidungsfindungsprozesse einzelner Polizistinnen und Polizisten oder sogar die entsprechende Anweisung, mit derartigen Vorurteilen zu handeln. Es werden z.B. Personenkontrollen in Zügen oder an Bahnhöfen häufiger gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund durchgeführt und seltener gegenüber als „offensichtlich deutsch“ wahrgenommen Personen. Hier spielt Racial Profiling entweder durch die ausdrückliche Anweisung des Dienstvorgesetzten oder durch die Auswahl der Beamten hinsichtlich der zu kontrollierenden Personen eine Rolle.      
Warum ist Racial Profiling aus juristischer Sicht so problematisch?

Rechtsanwalt Sven Adam
Dem Prinzip des Racial Profilings steht in Deutschland der Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes entgegen. Hiernach darf niemand aufgrund seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. In Europa ist der Schutz der Gleichheitsrechte durch Art. 14 der von allen europäischen Staaten ratifizierten Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sogar noch weiter als der Gleichheitssatz in Artikel 3 des Grundgesetzes. Nach Art 14 der EMRK sind alle Rechte der EMRK ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.
Ständig mit dem Gefühl leben zu müssen, nicht Willkommen und der Gefahr ausgesetzt zu sein, einzig wegen eines migrantischen Hintergrundes oder wegen seiner Hautfarbe kontrolliert zu werden, stellt bereits eine gegen diese Gleichheitsgrundsätze sprechende Benachteiligung dar. Diese Benachteiligung manifestiert sich erst recht, wenn man wieder einmal der Einzige ist, der von Polizeibeamten nach dem Ausweis gefragt wird.
Sie vertreten derzeit den Fall eines 25-jähigen Studenten aus Kassel, der in einer Regionalbahn von der Bundespolizei kontrolliert wurde. Wie kam es dazu und was macht die Kontrolle aus Ihrer Sicht rechtswidrig?
Der junge Mann mit dunkler Hautfarbe befand sich Mitte Dezember 2010 auf der Fahrt von seinem Studienort Kassel nach Frankfurt zu seinen Eltern. In der Regionalbahn wollten Bundespolizisten einzig wegen seiner Hautfarbe seine Ausweispapiere kontrollieren. Es entwickelte sich eine Diskussion, in deren Verlauf der Student einen Vergleich mit Methoden aus dem Nationalsozialismus zog, die beiden Beamten auf deren Nachfrage aber ausdrücklich nicht als „Nazis“ bezeichnen wollte. Als Ergebnis dieser Personalienkontrolle fand sich der junge Mann dann aber auf der Anklagebank wegen Beleidigung der Polizeibeamten wieder, weswegen  ihn das Amtsgericht Kassel dann auch verurteilte. Das Strafgericht war der Auffassung, dass die Kontrolle einzig wegen der Hautfarbe in Ordnung gehen würde. Wir legten nun gegen das Strafurteil Revision ein, auf welche das Urteil des Amtsgerichts von dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main aufgehoben und der Student freigesprochen wurde. Gleichzeitig erhoben wir die Klage vor dem Verwaltungsgericht Koblenz auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Personalienfeststellung. Zu unserer Überraschung wies das VG Koblenz die Klage mit einem viel beachteten und kritisierten Urteil ab und stellte fest, dass auch einzig die Hautfarbe ein zulässiges Kriterium für die Auswahl zu kontrollierender Personen im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei sein könne. Außerdem war das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass eine Personalienkontrolle eine derart niedrige Eingriffsintensität hat, dass der Rechtsschutz dagegen kürzer ausfallen könnte. Die Berufung gegen dieses bisher nicht rechtskräftige Urteil wurde anschließend aber durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) auf unseren Antrag hin zugelassen. Die Hauptverhandlung findet nun am 29.10. dieses Jahres vor dem OVG statt.
Wir halten die nur wegen der Hautfarbe durchgeführte Personalienkontrolle des jungen Mannes für rechtswidrig, weil jede polizeiliche Maßnahme einer gesetzlichen Grundlage bedarf, die wiederum dem Grundgesetz entsprechen muss. Eine Kontrolle, die nur wegen der Hautfarbe durchgeführt werden, wird den Vorgaben des Gleichheitsgrundrechts aus Artikel 3 des Grundgesetzes nicht gerecht. Wir klagen gegen diese polizeiliche Maßnahme aber auch, weil es nicht sein kann, dass in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund ständig einer größeren Gefahr staatlicher Kontrolle im Alltag ausgesetzt sind als andere Menschen. Dies ist weder zeitgemäß noch wird es der Rolle dieses Landes als Teil von Europa gerecht.
Ist das ein Einzelfall?
Nein. Leider nicht. Ich habe nach Bekanntwerden des Verfahrens diverse Berichte über derartige Kontrollen von den Kontrollierten selbst oder von Zeugen solcher Kontrollen erhalten. Es sind indes auch weitere Verfahren mit diesem rechtlichen Ausgangspunkt vor den Verwaltungsgerichten anhängig. Außerdem gibt es einige Interessenverbände wie die „Initiative in Deutschland lebender Schwarzer (ISD)“ oder die „Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt“, die seit längerem die Praxis von Racial Profiling durch die Polizeibehörden in Deutschland beobachten, kritisieren und immer wieder Fälle und Beispiele aufzeigen. Insofern wird dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz derzeit auch eine besondere Bedeutung zugesprochen.
Das Interview führte Felix M. Steiner.
*Sven Adam ist Rechtsanwalt in Göttingen. Er arbeitet dort vorrangig im Bereich des Sozialrechts und des Gefahrenabwehrrechts. Adam vertritt u.a. den 26-jährigen Kläger, der sich derzeit vor dem OVG Rheinland-Pfalz gegen eine Personalienfeststellung einzig wegen seiner Hautfarbe wehrt.
Siehe auch: Racial Profiling als zulässige Polizeipraxis?, Blackface: Pulitzer-Preisträger ruft zum Boykott deutscher Theater aufEs gibt keinen Rassismus mit Herz!, Keine Ansichtsache – Racial Profiling als institutionalisierter Rassismus
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