Sonntag, 31. März 2013

NSU-Prozess: Türken müssen draußen bleiben

NSU-Prozess: Türken müssen draußen bleiben:
Von Jörg Wellbrock
Der NSU-Prozess in München hat schon seinen ersten Skandal, bevor er begonnen hat. Keiner der 50 Sitzplätze für die Presse soll durch türkische Medien besetzt werden. Empathie geht anders.
Am Morgen des 28. März war auf der Website von „n-tv“ zu lesen, dass womöglich doch noch alles gut ausgeht. Entgegen der allgemeinen Berichterstattung am Vorabend werde nach einer Lösung gesucht, die sicherstellen soll, dass Medienvertreter aus der Türkei am NSU-Prozess teilnehmen können. Wie genau das aussehen soll, ist noch unklar. Und gut ist überhaupt nichts, das Oberlandesgericht (OLG) München hat eindrucksvoll gezeigt, wie man es nicht macht.

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst?

Es klingt vage, was Barbara John, Ombudsfrau der Opfer der Mordserie der Bundesregierung, zu sagen hatte. Nachdem sie sich mit dem OLG München zusammengesetzt hatte, resümierte John: „”Mir wurde gesagt, dass die Zulassung der Presse nach dem üblichen vorgegebenen Verfahren gelaufen ist.” Sie gehe aber davon aus, dass eine Lösung gefunden werde, das Gericht habe zugesagt, türkische Medien einzubinden. Die Richter selbst sind sich indes keiner Schuld bewusst. Sie argumentieren, die zu Plätze nach Antragseingang vergeben zu haben. Das verwundert, wenn man bedenkt, dass Celal Ozcan in der „taz“ schreibt, seine Zeitung „Hürryet“ habe schon am ersten Tag des Akkreditierungsverfahrens beim Gericht einen Antrag gestellt. Lügt der Journalist? Oder das Gericht? Waren schon kurz nach dem Beginn der Akkreditierung wirklich alle Plätze vergeben? Selbst wenn es so wäre, darum geht es nur am Rande.


Der Rahmen des zulässig Möglichen

Das OLG München gibt sich selbstbewusst, die Richterin Margarete Nötzel stellte klar, dass ein anderer Saal als Problemlösung keine Option sei. Schließlich sei der Saal 101 vom Senat für das Verfahren ausgewählt worden. Er sei außerdem der größte Gerichtssaal in Bayern und aufwendig modernisiert und umgebaut worden, was den umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen geschuldet sei. Unterstützung erfuhr das Gericht von Siegfried Kauder (CDU), dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags. Zuvor hatte der Verfassungsrechtler Wolfgang Hoffmann-Riem am 27. März in den „ARD-Tagesthemen“ angeregt, das Verfahren in einen anderen Saal per Video für ausgewählte Medienvertreter zu übertragen. Rechtlich sei das möglich. Dem widersprach Kauder mit dem Verweis darauf, dass es sich bei dem NSU-Prozess nicht um ein Public-Viewing-Event handele. Durch eine Videoübertragung wäre das Verfahren ein Schauprozess, der nicht der Menschenwürde der Angeklagten entspräche. Kauder fügte bezüglich der Praxis des Auswahlverfahrens hinzu: “Ob türkisch oder nicht türkisch, danach unterscheidet die Justiz nicht.“

Alles sei rechtens und im Rahmen des zulässig Möglichen erfolgt.

“Kauder-Welsch”

Um die Absurdität Kauders Worte deutlich zu machen, reicht ein Blick auf den Grund des Verfahrens gegen die Angeklagten im NSU-Prozess. Möglicherweise ist Kauder entfallen, dass von den zehn Opfern acht Menschen türkischer Abstammung waren. Alleine diese Tatsache hätte eigentlich ausreichen müssen, um türkischen Medien Präsenz im Verfahren zu ermöglichen. Der Vorwurf eines Schauprozesses ist lächerlich, denn schließlich würden im Fall einer Videoübertragung in einen anderen Saal nicht Bier trinkende Zuschauer den Prozess verfolgen, sich bunt anmalen und laut singen. Es wären ausschließlich Medienvertreter, die den Prozess verfolgten.

Ebenso albern ist das Argument des zulässig Möglichen und der Hinweis, dass die Justiz nicht zwischen türkisch oder nicht türkisch unterscheide. Hier wäre eine Differenzierung wichtig gewesen, nicht das plumpe Gehabe um formell korrektes Verhalten. Abgesehen davon wäre es nicht einmal unzulässig gewesen, türkische Medienvertreter zuzulassen.

Was bei Kachelmann möglich war …

Als der Prozess gegen Jörg Kachelmann jeden Tag die Medien bewegte, nahmen am Verfahren mit einer absoluten Selbstverständlichkeit auch Journalisten aus der Schweiz teil. Von den 48 Plätzen hatte das Landgericht Mannheim zehn Stühle für die Schweizer Medien zur Verfügung gestellt. Immerhin, so begründete das Gericht damals die Entscheidung, seien wegen der Staatsangehörigkeit Kachelmanns die Schweizer Medien angemessen zu berücksichtigen.

Was wäre los gewesen, wenn es anders gewesen wäre? Celal Özcan fragte in der „taz“ zu Recht, was passiert wäre, wenn im Jahr 2007 beim Prozess gegen Marco Weiss wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs in Antalya die türkischen Justizbehörden keine deutschen Pressvertreter zugelassen hätten? Özcan geht von einer Welle der Empörung aus, die bis zum Vorwurf der Böswilligkeit und der Behinderung der Pressfreiheit gereicht hätte. Und selbst wenn das hypothetisch ist, unrealistisch klingt es nicht.

Taube Fingerspitzen

Auf den Punkt brachte es Ahmet Külahci, der Chefkorrespondent der “Hürriyet”. Zum Akkreditierungsverfahren merkte er an, es sei vorstellbar, dass bürokratisch und juristisch alles in Ordnung gewesen wäre. Er fügte allerdings hinzu: „”Moralisch und ethisch ist es aber nicht zu vertreten, dass keine Medienvertreter aus der Türkei dabei sein können.“ Er hätte vom OLG München mehr Sensibilität erwartet. Vizechef Pascal Thibaut vom „Verein der ausländischen Presse in Deutschland (VAP)“ erwägt nun, formellen Protest einzulegen. Auch ihm fehlt das nötige Fingerspitzengefühl der Richter.

Thibaut dachte laut darüber nach, ob das Anmeldeverfahren für die Pressevertreter womöglich nur von ahnungslosen Justizmitarbeitern abgearbeitet wurde. Oder aber ob es die Richter selbst waren, die diese unsensiblen Entscheidungen getroffen hätten.
Was der Verfassungsrechtler Wolfgang Hoffmann-Riem sich erhofft, ist allerdings inzwischen unwahrscheinlich, selbst wenn doch noch türkische Medienvertreter zugelassen werden, in welcher Form auch immer. Hoffmann-Riem hatte Gerichtspräsidenten des OLG München nahegelegt, sich „einen Ruck“ zu geben. „Das“, so der Verfassungsrechtler, „wäre kein Gesichtsverlust, ich glaube, die Hochachtung aller wäre ihm gewiss.“

Das darf bezweifelt werden. Und wäre auch nicht angemessen.
Dieser Feed wurde Euch präsentiert von


© Joerg Wellbrock für den Spiegelfechter, 2013.



flattr this!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen